Seit dem Kindesalter verbringe ich einen Großteil meiner Freizeit in Laufschuhen. Früher war es allerdings deutlich einfacher, bedenkenlos konnte ich jederzeit laufen und trainieren. Seit der Diagnose Diabetes mellitus Typ 1 im Alter von 16 Jahren änderte sich alles für mich, denn plötzlich ist die Blutzuckerüberwachung zum großen Bestandteil meines Lauftrainings geworden. Laufen gehört in die Kategorie Ausdauersport. Hierbei kommt es zum Absinken des Insulinbedarfs, weil die Zellen das Insulin während und nach dem Laufen besser verwerten können. Die Gefahr einer Unterzuckerung ist damit erhöht. Auch Stunden nach dem Laufen und vor allem nachts kann der Blutzucker stark abfallen. Abhängig von der Trainingsintensität kann es nämlich zum sogenannten Muskelauffülleffekt kommen. Hierbei füllt der Körper die leergewordenen Glykogenspeicher in den Muskeln wieder auf, was bei einem Diabetiker zu nächtlichen Unterzuckerungen führen kann. All diese Aspekte machen so ein Training und die dazugehörige Insulintherapie komplexer, denn eine Faustregel für die Therapieanpassung gibt es nicht. Jeder Körper reagiert individuell auf sportliche Aktivität.
Wie sieht es also im Alltag aus, wenn ich laufen gehen möchte?
Zunächst muss ich den Lauf in meinen Tagesablauf einplanen – dabei muss ich Antworten auf folgende Fragen berücksichtigen:
- Wann gehe ich laufen?
- Wird es ein Lauf am Vor-, Nachmittag oder Abend?
- Wann esse ich vorher und – hauptsächlich – was esse ich vorher?
- In welchem Bereich sollte der Blutzucker vor dem Lauf liegen, damit ich ohne zusätzliche Zufuhr von Kohlenhydraten während des Laufes laufen kann?
- Wie lange werde ich laufen?
- Wie sehr werde ich mich dabei auspowern?
Einige werden an diese Stelle vielleicht denken „dann lieber gar nicht erst laufen gehen, oder?“. Das alles entmutigt mich aber nicht, denn ich weiß, wie wichtig der Sport für meine Gesundheit und mein mentales Wohlbefinden ist. Da ich im Krankenhaus arbeite, ist es umso schöner, die Zeit nach der Arbeit draußen laufend verbringen zu können und den Kopf dabei auszuschalten. Habe ich also alle Fragen beantwortet, steht der Plan. Trotzdem geht natürlich nicht immer alles nach Plan auf, aber die Planung ist das A und O. Das größte Risiko bei meinen Läufen ist nämlich eine Unterzuckerung und diese würde bedeuten, dass ich unterwegs Zucker zuführen muss, um den Blutzucker zu stabilisieren. Für solche Situationen, die auch bei bester Planung auftreten können, habe ich immer Sport-Gels dabei, welche den Blutzucker im Fall einer Unterzuckerung schnell erhöhen. Glücklicherweise hat sich in der Diabetes-Technik so einiges getan. Vor Jahren war die Technik noch nicht so weit fortgeschritten, sodass ich nach Diagnosenstellung meinen Blutzucker immer mit einem Stich in die Fingerbeere messen musste, um einen Tropfen Blut aus der Fingerspitze zu gewinnen und auf einem Teststreifen aufzutragen. Im Lauftraining war das sehr lästig und während eines Laufes nicht machbar, ohne dass man dafür stehen bleiben musste. Das war einer der Hauptgründe, warum ich früher nicht länger als 5 bis 10 km weit gelaufen bin. Vor allem im Wettkampf war ich immer sehr verbissen und sah nicht ein, unterwegs stehen bleiben zu müssen, sodass sehr viel nach Gefühl ging. Ich habe den Blutzucker immer vor dem Lauf gemessen und danach agiert. Je länger die Laufstrecke wurde, desto schwieriger war es, den Blutzucker nach Gefühl konstant zu halten. Im Laufe der Zeit unterstützte mich die fortschreitende Technik. Mittlerweile messe ich meinen Blutzucker über einen Sensor am Bauch, der mir kontinuierlich meine Blutzuckerwerte auf meine Smart-Watch sendet. Das erleichtert das Laufen enorm und ich konnte dadurch bereits Halbmarathons auch im Wettkampf laufen, ohne für die Kontrolle des Blutzuckers stehen bleiben zu müssen. Eine weitere Komplikation, die auftreten kann, sind zu hohe Blutzuckerwerte. Bisher hatte ich nur einmal Probleme damit beim Laufen. Es war bei meinem allerersten Halbmarathonlauf. Ich habe lange auf dieses Ziel hingearbeitet und hatte im Training nie mit hohen Blutzuckerwerten zu kämpfen, aber ich habe die Aufregung nicht einkalkuliert. Unter Stress und Aufregung kommt es zu erhöhten Adrenalinspiegeln im Blut, welche den Blutzucker erhöhen. Das passierte kurz vor dem Startschuss und während des Laufes stieg mein Blutzucker kontinuierlich an, sodass ich den Lauf nach über der Hälfte der Strecke abbrechen musste. So etwas passierte mir danach nie wieder und ich konnte bereits einige Halbmarathons ohne Komplikationen durchlaufen. Insgesamt erschwert meine Diabetes-Erkrankung das Laufen zwar, vor allem je länger die Laufstrecke wird, aber es ist trotzdem machbar und ich kann jedem nur raten, sich von der Diagnose nicht entmutigen zu lassen und dranzubleiben. Je besser man den eigenen Körper und die Reaktionen auf sportliche Aktivität kennt, desto besser kann man bestimmte Situationen einschätzen. Hilfreich ist es sich, vor allem am Anfang, Notizen zu machen. Man notiert am besten die Blutzuckerwerte, die Nahrungsaufnahme, die Insulintherapie sowie die Trainingsintensität und bekommt dadurch ein besseres Gefühl für das Blutzuckermanagement beim Sport.